Zeithistorische Forschungen (Dec 2014)
Systeme und Organisationen unter Stress. Zur Geschichte der sozialwissenschaftlichen Katastrophenforschung (1949–1979)
Abstract
How do human beings behave in a disaster? How can populations be governed in extreme situations? These were some of the questions that drove the activities of several American, partly army-funded, research groups during the 1950s, ’60s and ’70s. These groups were interdisciplinary but mainly interested in sociological questions. In the US and abroad, they studied the stress reactions of individuals and groups in tornados, blizzards and racial riots, as well as during laboratory simulations. Analysing some of their publications and internal documents, this article explores the research goals and findings of social science disaster research and their application. The researchers’ activities must be interpreted in the context of the Cold War and of changing conceptions of danger. However, the paper shows that their work was by no means fully determined by the political agenda of their sponsors – they followed their own research interests, producing results that sometimes deeply questioned the intentions and policies of their patrons. ∗ ∗ ∗ Wie reagieren Menschen auf Katastrophen? Wie lassen sich Bevölkerungen in Extremsituationen führen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich in den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren mehrere US-amerikanische, teilweise durch die Armee finanzierte Forschungsgruppen. Sie waren interdisziplinär zusammengesetzt, aber mehrheitlich soziologisch ausgerichtet. Innerhalb wie außerhalb der USA studierten sie das Stressverhalten von Individuen und Gruppen in Tornados, eingeschneiten Autobahnraststätten und »racial riots« sowie ergänzend in Laborsimulationen. Anhand zeitgenössischer Publikationen und interner Akten werden in diesem Aufsatz die Erkenntnisinteressen und Untersuchungsfelder der sozialwissenschaftlichen Katastrophenforschung, ihre Befunde und deren Nutzung dargestellt. Die Tätigkeit der Wissenschaftler/innen stand im Kontext des Kalten Kriegs und eines sich verschiebenden Gefahrensinns. Dabei ließen sich die Forscher/innen keineswegs vollständig politisch vereinnahmen, sondern verfolgten durchaus eigene Interessen und gaben mitunter Antworten, die den Intentionen der Auftraggeber zuwiderliefen.
Keywords