Jahrbuch Musikpsychologie (Jan 2019)
Nonverbale Synchronie und Musik-Erleben im klassischen Konzert
Abstract
Die Praxis der Musikrezeption im Rahmen klassischer Konzerte ist von restriktiven Verhaltenskonventionen geprägt. Aktuelle kognitionswissenschaftliche und philosophische Ansätze, welche Musik-Erleben als verkörpert oder als über mehrere Individuen verteilt konzeptualisieren, scheinen daher für die Erklärung des Musik-Erlebens in klassischen Konzerten weniger geeignet. Vor diesem Hintergrund untersuchte die vorliegende explorative Studie das Auftreten koordinierter Körperbewegungen als nonverbale Synchronie im Rahmen eines klassischen Konzertes und den Zusammenhang zwischen den Synchronien innerhalb des Publikums und Aspekten des subjektiven Musik-Erlebens. Im Rahmen eines Forschungskonzerts wurden 22 Teilnehmern verschiedene Kammermusikwerke präsentiert, sowie dabei Selbstauskünfte zu Aspekten des Musik-Erlebens erhoben und Körperbewegungen mit drei stationären Kameras erfasst. Non-verbale Synchronie, als Indikator für koordinierte Körperbewegungen, wurde über die Korrelation von Bewegungsenergie-Zeitreihen ermittelt. Die Bewegungsenergie wurde als Anzahl der sich ändernden Pixel aufeinanderfolgender Frames operationalisiert. Es zeigte sich stark ausgeprägte Synchronie zwischen den Musikern sowie eine Synchronie kleiner bis mittlerer Effektstärke innerhalb des Publikums. Zwischen den Musikern und dem Publikum konnte hingegen keine Synchronie festgestellt werden. In Bezug auf das Verhältnis von Synchronie innerhalb des Publikums und dem subjektiven Musik-Erleben zeigten sich signifikante negative Zusammenhänge zwischen dem Gefühl der Verbundenheit mit den Musikern, dem Grad der Absorption und der Synchronisierung innerhalb des Publikums. Dies lässt sich dahingehend interpretieren, dass bei einem stärkeren Fokus der Aufmerksamkeit und des Erlebens auf das Bühnengeschehen die Synchronisierung mit den anderen Mitgliedern des Publikums abnimmt. Die Ergebnisse dieser Studie stehen im Einklang mit Theorien zum verkörperten Musik-Erleben, sie stützen jedoch Ansätze nicht, die darunter die Nachahmung der klangproduzierenden Bewegungen der Musiker verstehen. Ebenso stehen die Befunde nicht in Einklang mit Ansätzen zum verteilten Musik-Erleben. Abschließend werden die Ergebnisse hinsichtlich ihrer musikpraktischen Relevanz bezüglich einer Diversifizierung klassischer Konzerte diskutiert.
Keywords