Medien & Kommunikationswissenschaft (Nov 2018)
„Common Meeting Ground” in Gefahr? Selektionslogiken politischer Informationsquellen und ihr Einfluss auf die Fragmentierung individueller Themenhorizonte
Abstract
Die Diversifikation politischer Informationsangebote wird vielfach als Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die kollektive demokratische Selbstbestimmung betrachtet. Angebote, die Nachrichten automatisiert und basierend auf dem Onlineverhalten und dem sozialen Onlinenetzwerk personalisieren (z. B. Facebook), stehen im Verdacht, Fragmentierung Vorschub zu leisten. Personen mit extremen politischen Einstellungen gelten als besonders gefährdet, den Anschluss an die Gesamtgesellschaft zu verlieren, z. B. wenn sie in eine „Echokammer“ geraten. Anhand einer neuartigen Operationalisierung von Themenfragmentierung auf der Individualebene prüfen wir, ob die Nutzung solcher Informationsangebote - bei allen oder bei den politisch Extremeren - die Anschlussfähigkeit individueller Themenhorizonte verringert (geringere Themenvielfalt, Fokussierung und Themenschnittmengen mit anderen Personen) und damit zur Fragmentierung der Gesellschaft beiträgt. Grundlage ist eine 14-tägige Tagebuchstudie, in der die 333 Teilnehmer täglich Auskunft darüber gaben, welche beiden politischen Themen sie am wichtigsten fanden und aus welchen Quellen sie sich darüber unterrichtet hatten. Demnach verringern soziale Medien als Informationsquellen die Anschlussfähigkeit individueller Themenhorizonte nicht. Allerdings vergrößert die Nutzung von traditionellen Nachrichtenmedien die Anschlussfähigkeit. Das gilt umso mehr, je extremer die politische Einstellung des Nutzers ist. Wir diskutieren, was das für die Selbstbestimmung der Individuen und der Gesamtgesellschaft in der digitalen Welt bedeutet.