Rechtsgeschichte - Legal History (Jan 2013)

Die »Familie der Könige« im Mittelalter

  • Wolfram Brandes

DOI
https://doi.org/10.12946/rg21/262-284
Journal volume & issue
no. Rg 21
pp. 262 – 284

Abstract

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Die von Franz Dölger entwickelte Vorstellung, dass sich die Staaten und Herrschaften im östlichen wie westlichen Mittelalter als eine »Familie der Könige« begriffen, die als ein gleichsam rechtliches Institut die politische Welt konstituierte, wird einer Kritik unterworfen. Danach hätten sich die Herrscher der Welt (nicht nur der christlichen, sondern z. B. auch die sassanidischen Perser) als eine »Familie« begriffen, mit dem (ost-)römischen Kaiser an der Spitze und abgestuft denn »Brüder«, »Söhne«, »Freunde« usw. Dies wird angezweifelt. Dabei konzentriert sich die Darstellung, die sich als ein Versuch begreift, eine längst überfällige Diskussion zu initiieren, auf die spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen, auf die sich Dölger berief. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist ein negatives: Das Konzept einer »Familie der Könige« lässt sich in den herangezogenen Quellen nicht finden. Diplomatische Formeln, die sich bis in den Alten Orient oder die hellenistischen Staaten zurückverfolgen lassen, kann man nicht als Belege für ein nach Dölger Ende des 3. Jahrhunderts entstandenes System betrachten. In einem Schlussteil werden die Entstehungsumstände der Dölgerschen »Familie der Könige« – der relevante Aufsatz erschien im Jahre 1940 – sowie seine Haltung zum Nationalsozialismus thematisiert. Die Möglichkeit (Sicherheit ließe sich durch intensive weitergehende Forschungen erreichen), dass Dölger sein aufs Mittelalter bezogenes Konzept im Kontext seiner Involvierung in aktuelle Diskussionen über die »Ordnung« Südosteuropas (inkl. Griechenlands) in bestimmten NS-dominierten think tanks entwickelte, wird als reale Möglichkeit gesehen. Als Erkenntnisinstrument der Spätantike- und Mittelalterforschung jedenfalls fällt die »Familie der Könige« nach Ansicht des Verfassers aus.

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