Eiszeitalter und Gegenwart (Aug 2020)

Der späteiszeitliche Tüttensee-Komplex als Ergebnis der Abschmelzgeschichte am Ostrand des Chiemsee-Gletschers und sein Bezug zum „Chiemgau Impakt“ (Landkreis Traunstein, Oberbayern)

  • R. Huber,
  • R. Darga,
  • H. Lauterbach

DOI
https://doi.org/10.5194/egqsj-69-93-2020
Journal volume & issue
Vol. 69
pp. 93 – 120

Abstract

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Anhand von sedimentologischen und geländemorphologischen Untersuchungen wird die Abschmelzgeschichte des südöstlichen Chiemsee-Gletschers beschrieben. Mit dem Trockenfallen der Bad Adelholzen-Erlstätter Rinne im Verlaufe des Spätwürm entwickelt sich aus dem Abschmelzen des Eislappens in der Grabenstätter Bucht eine sich ständig tiefer legende konzentrische Abfolge von zunächst peripheren Entwässerungsrinnen, wobei die ältesten Rinnen dieser Phase bei Chieming, die jüngeren dann entsprechend weiter im Süden, in die zentripetale Richtung umschwenken.Die Entstehung des Tüttensee-Komplexes ist im Kontext dieser Entwicklung zu sehen. Er ist das Ergebnis der glazifluvialen und glazilakustrinen Sedimentation im Einflussbereich des sukzessiven Eisabbaus in der Grabenstätter Bucht in Kombination mit einer Toteisbildung im Bereich des heutigen Tüttensees. Dafür sprechen die stufenartige Abfolge der beschriebenen peripheren Abflussrinnen mit ihren immer tiefer liegenden Abflussniveaus, die Höhengleichheit von drei dieser Rinnen mit den Tüttensee-Terrassen sowie die für die jeweilige Terrassenentstehung typische glazifluviale bzw. delta-artige Sedimentstruktur und -reife. Dieses Ergebnis stellt ein Korrektiv zur Hypothese des Chiemgau-Impakts dar, wonach der Tüttensee ein Impaktkrater sein soll. Da diese nun falsifizierte Annahme vor allem im deutschsprachigen Raum von zahlreichen Medien propagiert wird, ist der folgende Artikel auf Deutsch verfasst, um einer breiten Leserschaft zugänglich zu sein.The deglaciation history of the southeastern Chiemsee Glacier is described by sedimentological and terrain morphological investigations. As the Bad Adelholzen-Erlstätter Rinne dried up during the late Würmian, the melting of the ice lobe located in the Grabenstätt bay resulted in a concentric sequence of ever deepening peripheral drainage channels. The oldest channels of this phase changed into a centripetal direction near Chieming, the younger ones did so further south.The development of the Tüttensee Complex has to be seen in the context of this development. It is the result of the glaciofluvial and -lacustrine sedimentation triggered by the gradual deglaciation of the Grabenstätt bay in combination with dead ice formation in the area of today's Lake Tüttensee. This is supported by the stepwise sequence of the described peripheral discharge channels with their increasingly lower discharge levels, the level equivalence of three of these channels of this phase with the Tüttensee Terraces as well as the glaciofluvial or deltaic sediment structure or maturity typical for the respective terrace formation. This result is a corrective to the now falsified Chiemgau impact hypothesis that the Tüttensee is supposed to be an impact crater. Since this assumption is propagated by numerous media, especially in the German-speaking countries, the following article is written in German in order to be accessible to a broad readership.