Wortfolge (Jan 2021)

Musik in fremden Welten. Reiseerfahrungen deutschsprachiger Frauen im 19. Jahrhundert

  • Irmgard Scheitler

DOI
https://doi.org/10.31261/WSS.2021.05.01
Journal volume & issue
no. 5
pp. 1 – 38

Abstract

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Untersuchungsgegenstand des Artikels sind Beobachtungen und Beurteilungen weiblicher Reisender des 19. Jahrhunderts über Musik, die sie in anderen Ländern hörten und die ihnen befremdlich vorkam. Für diese etwas ausgefallen klingende Thematik – Musikbeschreibungen sind eher selten zu lesen – gibt es Gründe: Gesang und Instrumentalspiel waren Bestandteile höherer Mädchenbildung, Frauen wurde von der Literaturkritik folglich ein Urteil auf diesem Gebiet zugestanden. Mehr noch: Die öffentliche Meinung billigte Schriftstellerinnen nicht nur spontane, emotionsbetonte Urteile zu, sie forderte geradezu Irrationalität als weibliches Charakteristikum ein. Die Kulturforschung hat also ein vielversprechendes Feld vor sich. Es fällt auf, dass das Gefühl von Alterität nicht auf das Erlebnis von Exotik beschränkt ist, sondern schon bei Musik einer anderen Konfession oder eines anderen europäischen Landes auftreten kann. Die Schriften von Friederike Brun, Ida Hahn-Hahn und Louise Mühlbach, die hauptsächlich untersucht wurden, kamen zu recht absprechenden und sehr persönlich gefärbten Urteilen. Fremd wurde nicht etwa als ungewohnt zunächst abwartend und vorsichtig beurteilt, sondern als negativ empfunden und mit negativ besetzten Assoziationen verknüpft. Ergänzend oder alternativ kann das Urteil, das Fremde sei zurückgeblieben, hinzutreten. Da Frauen sich hüteten, sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu berufen, fiktionalisierte Louise Mühlbach ihr Wissen über ägyptische Instrumente, Berufssängerinnen und Liedtexte als selbsterworben, obgleich es nachweislich angelesen war. Deutsche Schriftstellerinnen waren bemüht, dem Publikum jene spontanen Urteile und ‘ungeschminkten‘ Darstellungen zu bieten, die es erwartete. Dass dies zu Fehlgriffen führte, wurde bereits im 19. Jahrhundert von einzelnen Wissenschaftlern scharf kritisiert und kann uns heute peinlich vorkommen, ist aber – auch – Ergebnis von generell herrschenden geschlechtsspezifischen Festlegungen.

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