Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie (Jan 2011)

Funktionale Mehrdeutigkeit, Tonalität und arabische Stufen. Überlegungen zu einer Reform der harmonischen Analyse

  • Ludwig Holtmeier

DOI
https://doi.org/10.31751/655
Journal volume & issue
Vol. 8, no. 3
pp. 465 – 487

Abstract

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Seit dem Erstarken der historischen Musiktheorie stellt sich die Frage nach einer dem heutigen Stand des Diskurses angemessenen Form der musikalischen Analyse, insbesondere danach, welchen analytischen Zeichensystems sich eine historisch informierte Satzlehre bedienen soll. Wolfgang Budday hat bereits vor über 10 Jahren die vom ›Sitz der Akkorde‹ ausgehende Bezifferung mit Arabischen Stufenziffern für die Analyse der Musik der Wiener Klassik in Erinnerung gerufen. Ausgehend von der ›Stufentheorie‹ Emanuel Aloys Försters bezeichnen die Arabischen Ziffern dabei die jeweils vorherrschenden ›lokalen‹ Sequenz- und Kadenzmodelle. Die zugrunde liegende ›Tonalität‹ eines Musikstücks, der übergeordnete harmonische Zusammenhang, der im Zentrum des musiktheoretischen Interesses des 19. und 20. Jahrhunderts stand, wird von den Arabischen Stufen Försters hingegen kaum berücksichtigt. Das mag einer der wesentlichen Gründe dafür gewesen sein, dass diese Form der Analyse – und mit ihr die Arabischen Stufenziffern – bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts fast vollständig verschwunden waren. Dabei eignet sich gerade die Arabische Stufen-Analyse dazu, das dialektische Spannungsverhältnis von Linie und Klang, von Kadenzharmonik und Skalenstruktur, kurz: jene funktionale Mehrdeutigkeit zu beschreiben, die im Allgemeinen als das zentrale Merkmal der ›chromatischen‹ Harmonik angesehen wird. Mein auf zwei Teile angelegter Text ist nicht allein ein Plädoyer für eine Renaissance der Arabischen Stufen-Analyse im Sinne einer historisch informierten Musiktheorie, sondern ich möchte diese Analysemethode an dem Punkt wieder aufgreifen, an dem sie einst aufgegeben wurde, um sie weiter zu entwickeln und im zweiten Teil dieses Textes für die Analyse der avancierten Harmonik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nutzbar zu machen.

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