Zeitschrift für Praktische Philosophie (Dec 2023)

Liebe, Polyamorie und (kein) Sex

  • Elke Elisabeth Schmidt

DOI
https://doi.org/10.22613/zfpp/10.2.6
Journal volume & issue
Vol. 10, no. 2

Abstract

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Polyamorie ist romantische Liebe, die sich auf mindestens zwei Personen bezieht oder beziehen kann. Eine solche Definition klingt leichter als sie es tatsächlich ist. Um eine genaue und adäquate Analyse von Polyamorie zu leisten, muss, erstens, geklärt werden, was Liebe – die hier allein als romantische Liebe thematisiert wird – überhaupt ist. Sie ist, so soll gezeigt werden, ein spezifisches dispositionales Emotionsmuster, das eine besonders starke Form der subjektiven Bedeutsamkeit konstituiert. Auf dem Hintergrund dieses Verständnisses von romantischer Liebe im Allgemeinen soll dann, zweitens, gezeigt werden, dass polyamore Liebe keine andere Form der Liebe ist als monoamore Liebe, sondern sich als romantische Liebe allein durch die divergierende Anzahl der Personen, die Gegenstand der Liebe sind, von monoamorer Liebe unterscheidet; besonderer Auszeichnungen wie verantwortlich oder konsensuell, wie sie in der Literatur geläufig sind, bedarf eine so verstandene polyamore Liebe, um sie hinreichend zu definieren, also nicht. Beachtet man aber, dass es eine Sache ist, polyamore Liebe, verstanden als emotionales Phänomen, zu definieren, und eine durchaus ganz andere Sache, polyamore Beziehungen zu definieren, bleibt Raum für die Frage, wann genau eine Beziehungskonstellation eigentlich polyamor ist, oder wann eine polyamore Person einfach nur mehrere Personen liebt, ohne dass die entstehende Beziehungskonstellation als solche aber polyamor wäre. Schließlich soll, drittens, das Verhältnis von Polyamorie und Sexualität beleuchtet werden. Auch wenn Sexualität für gewöhnlich als eines der hervorstechenden Elemente der romantischen Liebe verstanden wird, gehört sie gar nicht notwendig zu ihr – und jedenfalls hätte die Behauptung, dass eine notwendige Beziehung zwischen Polyamorie und gelebter Sexualität besteht, begrifflich-normative Konsequenzen, die man wohl gar nicht haben will. Es wird gezeigt, warum es keine notwendige Beziehung zwischen Liebe und Sexualität gibt – weder zwischen monoamorer noch zwischen polyamorer Liebe und Sexualität. Auch asexuelle polyamore (romantische) Liebe ist somit möglich.

Keywords