Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie (Jun 2019)

Partituren zum Lesen und Schauen . Bildlichkeit als Merkmal graphischer Notation

  • Gesa Finke

DOI
https://doi.org/10.31751/1001
Journal volume & issue
Vol. 16, no. 1
pp. 21 – 39

Abstract

Read online

Graphische Notation betont die Bildlichkeit der Notation, d. h. das Schauen zugunsten des Lesens. Für die Erforschung der bildlichen Dimension der Notation ist ein interdisziplinärer Dialog mit den Bildwissenschaften erforderlich. Dazu werden mögliche Perspektiven aufgezeigt, vor allem aus dem Bereich der Schriftbildlichkeit nach Sybille Krämer. Sie beschreibt für die Schrift diagrammatische Regeln, die auch für die standardisierte Fünf-Linien-Notation benannt werden können. Diese Regeln werden in der graphischen Notation außer Kraft gesetzt. Dies wird an den Aspekten der räumlichen Organisation (Gerichtetheit) und des Graphismus (Zusammenspiel von Punkt, Linie, Fläche) dargestellt. Der Komponist Anestis Logothetis befasste sich intensiv mit eben diesen Aspekten der Notation und entwickelte eine eigene, systematisch angelegte graphische Notation. Am Beispiel seiner Komposition Globus für Vermeulenflöte (1978) wird das Verhältnis von Linie zur Fläche untersucht. Der Briefwechsel zwischen Logothetis und der Interpretin Greta Vermeulen zeigt auf, wie sich dieses bildliche Verhältnis aus musikalischer Perspektive gestaltet. Graphic notation stresses the visual qualities of musical notation, i.e. the image as an item to be deciphered. Research on the visual aspects of notation demands a cross-disciplinary dialog with concepts from art theory and visual studies (›Bildwissenschaften‹). In particular, Sybille Krämer’s theory of notational iconicity offers new perspectives on musical notation. She defines so-called diagrammatic rules which can be applied to the standard notational system. These rules are deconstructed within graphic notation. This essay gives examples of spatial orientation or adjustment and graphism (i.e. the interplay of point, line, and space). The composer Anestis Logothetis explored these aspects of musical notation in detail and developed his own system of graphic notation. The example of his composition Globus für Vermeulenflöte (1978) shows how he designs the relationship between line and space. His letters to the performer Greta Vermeulen show the challenges of how the image is transferred into sound.

Keywords