Jahrbuch Musikpsychologie (May 2019)

Ökologisch valides Motion Capture von Dirigierbewegungen mit dem kinelyze-System

  • Vera Gehrs,
  • Christoph Louven

DOI
https://doi.org/10.5964/jbdgm.2018v28.40
Journal volume & issue
Vol. 28

Abstract

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Der vorliegende Beitrag untersucht am Beispiel von ganzkörperlichen Dirigierbewegungen die grundsätzliche Einsetzbarkeit und Aussagekraft unserer Motion Capture Software kinelyze auf Basis der Microsoft Kinect Hardware für die ökologisch valide, minimal-invasive Erfassung von Musikerbewegungen in realen Bühnensituationen. Die Kinect ist ein kleines, mit Infrarotsensoren ausgestattetes Gerät, das unauffällig auf der Bühne platziert werden kann ohne die Situation signifikant zu verändern, und das insbesondere zur Erfassung ganzkörperlicher Bewegungsmuster geeignet ist. kinelyze transformiert die erfassten Bewegungsdaten in ein frei skalierbares und um die vertikale Körperachse drehbares Strichmännchen. In einem Vorversuch wurden zunächst die grundsätzliche Handhabbarkeit und Verlässlichkeit für den Einsatz in einer realen Bühnensituation getestet. Die Eignung und Aussagekraft der von kinelyze generierten Strichmännchen für die valide Wiedergabe von ganzkörperlichen Dirigierbewegungen wurden in der anschließenden Hauptstudie untersucht. Dazu wurden fünf Dirigentinnen um das Dirigat zu einer Audioaufnahme der Exposition des 1. Satzes von Mozarts ‚Eine kleine Nachtmusik‘ (KV 525) gebeten. Die Bewegungen wurden mit kinelyze aufgezeichnet und in Strichmännchen-Darstellungen transformiert. Diese Strichmännchen-Darstellungen wurden von 65 Probandinnen wieder den ihnen bekannten Dirigentinnen zugeordnet und u.a. die Urteilssicherheit, die Zuordnungsgründe und die individuellen Erfahrungen mit den einzelnen Dirigentinnen erhoben. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die von kinelyze generierten Strichmännchen trotz der fehlenden Darstellung von Hand-, Fingerbewegungen und Mimik das charakteristische ganzkörperliche Bewegungsmuster der Dirigentinnen in einer Form wiedergeben, die grundsätzlich ein deutlich überzufälliges und urteilssicheres Erkennen einer Person ermöglicht. Im Einzelfall hängt dies jedoch auch von der jeweiligen Bewegungsprägnanz des Strichmännchens, vom allgemeinen Bekanntheitsgrad einer Person als Dirigent sowie den individuellen Erfahrungen der Beurteilenden ab. Grundsätzlich sprechen die hier vorgestellten Befunde für eine Eignung des kinelyze-Systems und der generierten Strichmännchen-Darstellung als Werkzeuge zur Erfassung von Ganzkörperbewegungen für entsprechende Forschungsfragen.

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