Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie (Jan 2006)
›Ur‹-Linie und thematischer Prozeß. Die formbildende Rolle der Subthematik in Beethovens Streichquartett op. 95
Abstract
Motivisch-thematische Ereignisse spielen in linearen Reduktionsverfahren der Schenker-Nachfolge eine tendenziell untergeordnete Rolle. Es ist daher ein verbreitetes (Vor-)Urteil, die Ergebnisse derartiger Analysen seien irrelevant für eine individualisierende Werkbetrachtung und lägen jenseits der ästhetischen Erfahrbarkeit. Anhand von Beethovens f-Moll-Streichquartett op. 95 wird gezeigt, wie motivisch-thematische Formbeschreibungen und lineare Reduktionsverfahren einander zu ergänzen vermögen. Wesentliche Momente der thematischen Entwicklung finden im Kopfsatz von op. 95 ›hinter‹ der Satzoberfläche statt. So beherrscht der im Motto latente Konflikt des-d den Satz vom figurativen Detail bis zur Großform. Dieses thematische ›Substrat‹ wirkt formbildend in Gestalt der chromatischen Auskomponierung syntaktischer Penultimae; die vermeintlich neutralen Linienzüge erscheinen thematisch aufgeladen, so daß auch weitgespannte melodische Progressionen rezeptionsästhetisch greifbar werden. Die fraktale Struktur der Thematik und die fraktale Struktur der linearen Schichten korrelieren dabei so weitgehend, daß ein undogmatischer Rekurs auf die Schenkersche Schichtenlehre den thematisch-formbildenden Prozess transparent zu machen vermag.
Keywords