Monitor Versorgungsforschung (Oct 2022)

Die Versorgungssituation von Patient:innen mit spastischer Bewegungsstörung in Deutschland: ein Vergleich (II)

  • Lukas Völkel MSc,
  • Prof. Dr. rer. pol. h.c. Herbert Rebscher,
  • Prof. Dr. rer. soc. Dr. med. Reinhard P.T. Rychlik

DOI
https://doi.org/10.24945/MVF.05.22.1866-0533.2447
Journal volume & issue
Vol. 2022, no. 05
pp. 74 – 79

Abstract

Read online

Hintergrund: Unterschiedlichste Publikationen der jüngeren Vergangenheit beschäftigten sich mit der Versorgungsrealität von Patient:innen mit spastischen Bewegungsstörungen in Deutschland und offenbarten eine Versorgung, die nicht mit den aktualisierten Empfehlungen der DGN Leitlinien übereinstimmt. Studiendaten zur Versorgungslage von Patient:innen mit spastischer Bewegungsstörung in Deutschland sind bisher leider kaum vorhanden. Die Vermutung liegt daher nahe, dass die Lebensqualität der Patient:innen sowie deren medizinische Versorgung aufgrund einer permanenten Fehl- und Unterversorgung in Deutschland leidet und ein deutlich erhöhter Pflegeaufwand daraus resultiert. Methodik: Drei Publikationen der letzten Jahre, die sich mit verschiedenen Bereichen der Versorgung von Patient:innen mit spastischem Syndrom in Deutschland beschäftigt haben, sollen verglichen und kanalisiert werden, um die Versorgungsrealität übersichtlicher darstellen zu können. Die zu vergleichenden Publikationen wurden kurz und fokussiert rekapituliert. Darauf aufbauend wurden die Resultate im Kontext der Versorgungssituation und der verwendeten Therapiemaßnahmen dargelegt. Ergebnisse: Im Kontext des Pflegegrades zeigt sich, dass die stationär untergebrachten Patient:innen eine stärkere Gewichtung bei den höheren Pflegegraden 3-5 (66%) haben, wogegen die Patient:innen des Surveys von Potempa et al. hauptsächlich den Pflegegraden 2-4 (66%) zugeordnet waren. 2018 (Potempa et al.) gaben die Allgemeinmediziner an, dass ihren Patient:innen hauptsächlich Physiotherapie verschrieben wurde, die zu 90% mit 12-24 Sitzungen im Quartal stattfand. Auf das Quartal gerechnet erhielten 2019 (Völkel et al.) lediglich 25% der Patient:innen 12-24 Sitzungen. In der aSPEkt-Studie (Katzenmeyer et al.) ergab sich, dass von den betreuten Patient:innen 10% eine First-Line-Therapie erhielten, bei der BoNT A inkludiert ist. Gemäß der Patientenbefragungen erhielten lediglich sehr geringe Anteile der Patient:innen (2018: 9%, 2019: 4%) BoNT A. Eine „nicht vorhandene Verfügbarkeit“ war die dominierende Ursache für diese Unterversorgung (2018: 43%, 2019: 47%). Schmerzmittel wurden den Patient:innen aufgrund der spastischen Bewegungsstörung in 50% der Fälle (2018) verschrieben und dagegen in 63% bei Patient:innen in stationären Pflegeeinrichtungen. Dies entspricht den Resultaten der aSPEkt-Studie, bei der die Pflegekräfte angaben, dass bei 85% der betreuten Patient:innen Schmerzen mit zu den größten Folgeproblemen des nicht suffizient behandelten spastischen Syndroms zählt. Konklusion: Zur Beurteilung der Versorgungsrealität von Patient:innen mit SMD in Deutschland wurden drei verschiedene Publikationen vergleichend betrachtet. Dabei ist festzustellen, dass die Publikationen, deren Daten jeweils aus verschiedenen Jahren stammen (2016, 2018, 2019), übereinstimmend eine große Diskrepanz zwischen der empfohlenen leitliniengerechten Versorgung und der tatsächlichen Versorgungsrealität in Deutschland aufzeigen. Allumfassend kann dargelegt werden, dass die Versorgung von Patient:innen mit SMD in Deutschland einer zügigen und effizienten Adaptation bedarf. Die empfohlene First-Line-Therapie, bei der es sich um eine Kombination aus Physiotherapie und der Behandlung mit BoNT A handelt, bedarf einer flächendeckenden Anwendung, um die Versorgung von Patient:innen mit SMD bundesweit zu verbessern sowie Folgeprobleme und Komorbiditäten und somit höhere Kosten für das Sozialsystem zu verhindern.

Keywords