Zeitschrift für Praktische Philosophie (Jun 2018)

Teilhabegerechtigkeit und das Ideal einer inklusiven Gesellschaft

  • Hauke Behrendt

DOI
https://doi.org/10.22613/zfpp/5.1.2
Journal volume & issue
Vol. 5, no. 1

Abstract

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Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die normativen Grundlagen des Inklusionsideals moderner Gesellschaften einer systematischen Klärung zu unterziehen. Die umfassende gesellschaftliche Teilhabe aller Bürger*innen ist eine zentrale Forderung sozialer Gerechtigkeit, auf die in der aktuellen Debatte mit dem Begriff der Teilhabegerechtigkeit Bezug genommen wird. Sie ist Ausdruck eines Inklusionsideals moderner Gesellschaften, wonach jedes Mitglied gleichberechtigt an ihr teilhaben soll. Diese Sichtweise knüpft an traditionelle Gerechtigkeitsdebatten an, fügt diesen aber einen neuen Gesichtspunkt hinzu. Befürworter gesellschaftlicher Teilhabegerechtigkeit berufen sich nämlich in der ein oder anderen Form auf den grundlegenden Wert sozialer Inklusion. Allerdings ist die Aussage, dass Inklusion ein allseitig erstrebenswertes Gut ist, keineswegs trivial. Vielmehr muss von einem sozialphilosophischen Blickwinkel aus eine Begründung für den postulierten Wert sozialer Inklusion erbracht werden. Im Rahmen dieses Beitrags werde ich für zwei Thesen argumentieren: 1) Der Wert sozialer Inklusion ist nicht intrinsisch, sondern normativ von den zugrundeliegenden Praktiken, auf die sie sich bezieht, abhängig, und 2) eine ungleiche Verteilung von einzelnen Positionen einer sozialen Ordnung kann im Einzelfall moralisch zulässig sein (das heißt, sie verletzt keine Forderung der Teilhabegerechtigkeit), wenn damit die Situation aller Betroffenen langfristig verbessert wird. Eine gute inklusive Gesellschaft darf einzelne Personen und Gruppen nicht marginalisieren, sondern muss jeden gleichwertig behandeln. Das Ideal einer inklusiven Gesellschaft steht demnach für eine Gesellschaft, an der jedes Mitglied seinen individuellen Begabungen und Interessen entsprechend als Gleiche*r teilhat. Danach ist gesellschaftlicher Ausschluss moralisch falsch. Allerdings bedeutet vollwertige Mitgliedschaft nicht die möglichst umfassende Inklusion in alle lokalen Teilbereiche der Gesellschaft, sondern steht für gute, qualifizierte Teilhabe.

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