Raumforschung und Raumordnung (Sep 1988)
Sozialhilfe und Lebenswelt
Abstract
Um lebensräumliche Strukturdifferenzen des Sozialhilfebezugs zu untersuchen, wurden die Regionaltabellen der niedersächsischen Sozialhilfestatistik einer Sekundäranalyse unterzogen. Im Blickpunkt standen die regionalen Lebenssituationen von Sozialhilfeempfängern und die Sozialhilfeausgaben der örtlichen Träger in Niedersachsen 1986. Die Ergebnisse verdeutlichen, daß das Fehlen eines bundesstaatlich hinreichend geregelten Familienlastenausgleichs Gebiete mit einem hohen Familienanteil und günstigeren Geburtenraten regionalwirtschaftlich benachteiligt: Im Westen, wo der Bevölkerungsanteil der Kinder und Jugendlichen hoch ist, wo viele Familien leben und eine überdurchschnittliche Geburtenrate zu verzeichnen ist, sind die privaten Hilfe- und Beziehungsnetze so tragfähig, daß nur relativ selten Ältere in Heimen versorgt werden müssen. Allerdings belasten dort die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und das unterdurchschnittliche Lohnniveau die Lebenslage von Familien tiefgreifend, so daß in überdurchschnittlich vielen Fällen Armut nur durch Hilfe zum Lebensunterhalt abzuwenden ist. Im Südosten Niedersachsens prägen ein hoher Rentneranteil, eine geringe Familiendichte und eine niedrige Geburtenrate das demographische Profil. Die Sozialhilfe ersetzt in diesen Teilen des Landes schwerpunktmäßig die Aufgaben einer Pflegeversicherung. Dort scheinen die privaten Hilfe- und Beziehungsnetze weniger tragfähig zu sein, so daß überdurchschnittlich viele ältere Menschen ihren Lebensabend in Heimen verbringen. Sie müssen Sozialhilfe wegen der hohen Kosten für stationäre Pflege in Anspruch nehmen. Um den Sozialhilfeaufwand längerfristig dämpfen zu können, ist eine räumlich differenzierte Strukturpolitik erforderlich. Sie muß die regionalen Rahmenbedingungen verbessern, die für die aktuellen Sozialhilfeprobleme ausschlaggebend sind. Für dieses strukturpolitische Handeln werden in der Abhandlung mögliche Orientierungslinien in Betracht gezogen.