Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie (Dec 2021)

“Du meine Seele, du mein Herz” . Self, Other, and Hermaphroditic Union in the Music of Robert (and Clara) Schumann

  • Benedict Taylor

DOI
https://doi.org/10.31751/1147
Journal volume & issue
Vol. 18, no. 2
pp. 173 – 202

Abstract

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In einem vielzitierten Brief, den Robert Schumann im Juni 1839 an Clara Wieck schrieb, freut er sich auf ihre spätere Ehe, die er nicht nur als physische oder rechtliche Verbindung sieht, sondern als Verschmelzung von Herz und Geist, eine schöpferische und geistige Durchdringung. »Wir werden auch vieles unter unseren beiden Namen veröffentlichen« schreibt Schumann, »die Nachwelt soll uns als ein Herz und eine Seele betrachten und nicht herausfinden, was von dir und was von mir ist.« Dieser Artikel untersucht das Verschwimmen des Subjekts in der Musik der Schumanns, insbesondere den fließenden Übergang zwischen dem Selbst und dem Anderen und das Potenzial, beides zu vereinen. Dieser Gedanke ist von besonderer Bedeutung in Bezug auf das Problem des gespaltenen Ich, das das idealistische und romantische Denken durchzog. Durch die Verschmelzung des Selbst mit einem Anderen könnte das individuelle Subjekt die scheinbar unüberbrückbaren Spaltungen in seiner eigenen Konstitution überwinden, ein Prozess der Selbstreflexion im Anderen, der zur vollständigen Kenntnis des Selbst führen kann. Eine solche Dynamik ist implizit in den virtuellen Persönlichkeiten einiger Instrumentalwerke Robert Schumanns enthalten, wird aber darüber hinaus in mehreren Liedersammlungen explizit thematisiert. In Liebesfrühling, einem bemerkenswerten Beispiel für die schöpferische Zusammenarbeit zwischen den frisch verheirateten Robert und Clara Schumann, wird das Thema der verschwimmenden Gender-Unterschiede und der hermaphroditischen Vereinigung im Text auffällig in den Vordergrund gestellt und in der Vertonung reflektiert. Auch andere Lieder wie z.B. aus Frauenliebe und Leben, Myrthen und dem Eichendorff-Liederkreis deuten darauf hin, dass der Weg zum Selbstbewusstsein im virtuellen Subjekt der Musik offenbar durch die gegenseitige Reflexion von Selbst und Anderem ermöglicht wird.

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