MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung (Oct 2020)
Schleichende Grenzaufweichungen und persönliche Verflechtungen. Strategien im pädagogischen Handeln mit Social-Media-Plattformen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
Abstract
Die Handlungsfacetten einer pädagogischen Social-Media-Nutzung dehnen sich schleichend aus. Es kommt zu Grenzaufweichungen und persönlichen Verflechtungen – professionellen Herausforderungen, die eine reflektierte Anpassung der Handlungsstrategien erfordern. Der Beitrag zeigt Handlungsfacetten und Strategien einer professionellen pädagogischen Social-Media-Nutzung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit unter Berücksichtigung einer steten NutzerInnenbewegung zu immer neuen Plattformen auf. Individuelle und strukturelle Lösungsmöglichkeiten für die Herausforderungen, die sich auf professioneller Ebene durch die neuen technischen Möglichkeiten ergeben, werden diskutiert. Am Ende werden Handlungsprämissen vorgestellt, die geeignet sind die professionellen Strategien pädagogischen Handelns im Umgang mit Social-Media-Plattformen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zu befördern. 1 Einleitung Nie zuvor haben so viele junge und erwachsene Menschen das Internet täglich genutzt. Die Verbreitung der Nutzung von Social-Media-Plattformen (kurz: SMP) nimmt weltweit konstant zu. Im Jahr 2017 nutzten rund 2,5 Milliarden Menschen SMP (vgl. eMarketer o.J. nach Statista). Darunter fasst Statista Internetanwendungen, die den Nutzenden die Kommunikation über lokale oder soziale Grenzen hinaus ermöglichen, sowie Möglichkeiten bieten, nutzergenerierte Inhalte wie Fotos und Videos und Funktionen wie soziale Spiele zu verbreiten. Technisch gesehen sind Messengerdienste wie WhatsApp nicht den SMP zu zuordnen. Da jedoch der sozial-kommunikative Charakter der Plattform im Fokus steht, wird der technische Unterschied angelehnt an Ebersbach et al. (2016) in diesem Beitrag bewusst vernachlässigt. Zu berücksichtigen ist dementsprechend zudem eine Zahl von monatlich 1,5 Millionen Nutzenden für den derzeit gängigsten Messengerdienst WhatsApp (vgl. Facebook o.J. nach Statista). Die offensichtlich grosse Bedeutung von SMP wirft die Frage auf, inwieweit angesichts einer KlientInnenorientierung Einrichtungen der Sozialen Arbeit im Allgemeinen und der Jugendarbeit im Besonderen SMP für ihre beruflichen Ziele einsetzen. Angesicht der Tatsache, dass seit 2010 pädagogische Fachkräfte der Jugendarbeit SMP in ihremberuflichen Hanldugnsfeld nutzen (vgl. Korfmacher 2011), jedoch bis heute dringende konzeptionell-inhaltliche Bedarfe und den Wunsch nach klaren Regeln äussern (vgl. Alfert 2015, 294f.), kann dieser Beitrag exemplarische Orientierung anbieten. Der Beitrag ist im Rahmen der Arbeit am Dissertationsprojekt zu pädagogischen Beziehungen und SMP in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (kurz: OKJA) entstanden. Die Daten entstammen episodischen Interviews (vgl. Flick 2011), die mit sechs pädagogischen Fachkräften aus Berliner Jugendfreizeiteinrichtungen (kurz: JFE), jeweils im Sommer 2012/13 und 2017 geführt wurden. Die Datenauswertung erfolgte mittels offener und axialer Kodierung und anhand des Kodierparadigmas entsprechend der (Reflexiven) Grounded Theory (vgl. Breuer 2010; Strauss und Corbin 1996). In vorherigen Analysen konnte gezeigt werden, dass die Nutzung von SMP in der OKJA ein erhebliches Potenzial zur pädagogischen Nutzung birgt. So kann jungen Menschen beispielsweise mit Hilfe von SMP der Zugang zur JFE erleichtert oder das Zugehörigkeitsgefühl zur JFE gestärkt werden (vgl. Stix 2016). Ebenfalls konnte aufgezeigt werden, dass es sich anbietet, SMP als pädagogische Handlungsräume zu definieren (Stix 2018), denn im Handeln der pädagogischen Fachkräfte finden sich mit dem Arrangieren und Animieren sowie dem Beraten und Informieren vier der fünf von Giesecke entwickelten Grundformen pädagogischen Handelns (Giesecke 1997, 76 ff.). Angesichts des fliessenden Wechsels der jungen Menschen zu Angeboten wie WhatsApp, Instagram, Snapchat und tiktok, stellte sich weitergehend die Frage, ob und inwiefern die pädagogischen Fachkräfte ihre mit Facebook generierten Strategien auf neue SMP und vor allem auf den Messengerdienst WhatsApp übertragen oder übertragen sollten. Die Lesenden erwartet im Folgenden die Ausführung von Handlungsfacetten und Strategien einer professionell pädagogischen SMP-Nutzung, unter Berücksichtigung von stetigen NutzerInnenbewegungen zu neuen Plattformen. Er stellt damit eine konzeptionell-inhaltliche Orientierung für Social Media in der Jugendarbeit vor und diskutiert darüberhinaus Lösungsmöglichkeiten für Probleme, die sich auf professioneller Ebene durch die neuen technischen Möglichkeiten ergeben. Dazu werden zunächst die Facetten pädagogischen Handelns auf SMP beschrieben. Es folgt die Darstellung der dahinter liegenden, von den Fachkräften entwickelten pädagogischen Strategien anhand von drei Beispielen. Dabei wird deutlich, dass sich die Handlungsfacetten eher schleichend ausdehnen; ein Phänomen, das als «creep-in» im nordamerikanischen Raum bereits erforscht wurde. Anhand der dort identifizierten, problematischen Themenbereiche werden dann die strategischen Ansätze einer Jugendarbeiterin im Umgang damit vorgestellt. Ein gesonderter Fokus wird dabei auf die beruflichen und privaten Verflechtungen und deren professionelle Herausforderungen gelegt, welche sich durch den Einsatz von WhatsApp in der OKJA ergeben. Im Fazit werden abschliessend Handlungsprämissen aufgezeigt und diskutiert, welche strukturellen und individuellen Rahmenbedingungen notwendig sind, die professionellen Strategien pädagogischen Handelns im Umgang mit SMP in der OKJA zu fördern. 2 Facetten und Deskription pädagogischen Handelns auf SMP Um einen Überblick über die Facetten pädagogischen Handelns auf SMP zu geben, werden diese exemplarisch anhand von Facebook und WhatsApp in ihrer Quantität veranschaulicht (s. Abb. 1). Anschliessend werden die am häufigsten vorkommenden Handlungen anhand von kurzen Beispielen deskribiert und ihre pädagogischen Implikationen dargestellt. Ein wichtiger Teil der pädagogischen Arbeit auf SMP sind Ankündigungen. Angekündigt werden neben besonderen (öffentlichen) Veranstaltungen wie Konzerten oder Sommerfesten auch das aktuelle Tagesangebot und besondere pädagogische Angebote, wie Kochen oder Ausflüge ins Schwimmbad. Durch die Teilnahme erhalten die jungen Menschen Zugang zu bildenden Erlebnissen und neuen gruppendynamischen Erfahrungen. Die gemeinsamen Erlebnisse dienen wiederum als Basis für den Aufbau vertrauensvoller Arbeitsbeziehungen zwischen pädagogischen Fachkräften und jungen Menschen. Die öffentliche Dokumentation dient der Reflexion dieser Erlebnisse und soll motivieren, diese zu kommentieren. Die pädagogischen Fachkräfte schildern, wie sie die Informationen, die sie aus ihren Newsfeeds über die jungen Menschen erhalten, nutzen, um sich zu sensibilisieren und ggf. diese Informationen pädagogisch zu verwenden: «Dass sie traurig sind, dass der Freund Schluss gemacht hat oder oder oder. Das ermöglicht natürlich auch eine gewisse Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, weil man immer weiss, auf welchem Stand sie gerade sind, wo vielleicht Probleme sind, was man vielleicht ansprechen könnte.» Sind die wahrgenommenen Inhalte negativer Natur und scheint eine zeitnahe Positionierung dazu notwendig, werden die Postings kommentiert, um den eigenen Standpunkt davon abzugrenzen. Wenn es möglich ist, werden solche Inhalte auch gelöscht oder bei den Plattformbetreibern gemeldet. «Also hatten wir halt auch schon, dass jemand dachte er müsste da A.C.A.B. [polizeidiffamierendes Akronym] und dergleichen propagieren und […] dann wurde es auch gleich gelöscht. […] Wir kommentieren wenn's kommentierwürdig ist. Wenn sich's um starke Beleidigungen beziehungsweise Propaganda handelt wird's einfach gelöscht. Und dann mit der Person noch mal ein Gespräch geführt.» Die obigen Newsfeed-Nachrichten richten sich in ihrer Art als Postings an eine eher breite Masse. Dementsprechend sind persönliche Nachrichten an eine oder mehrere Personen davon zu unterscheiden. Anfragen, mit denen sich die jungen Menschen direkt an eine pädagogische Fachkraft wenden, sind zum Beispiel , ob eine bestimmte pädagogische Fachkraft heute Dienst und Zeit für ein Gespräch habe oder eine konkret formulierte Bitte um Unterstützung bei einem Problem etwa mit den Eltern oder der Schule. Solcherart persönliche Nachrichten fanden sich bei Facebook und finden sich inzwischen besonders in der Kommunikation über WhatsApp wieder. Eine ebenfalls wichtige Rolle in der persönlichen Kommunikation über Facebook, aber stärker noch über WhatsApp, spielen die Absprachen mit Ehrenamtlichen. Während eine pädagogische Fachkraft beispielsweise das Catering beim Billardturnier mit Ehrenamtlichen organisiert, geben andere pädagogische Fachkräfte ihre Telefonnummer an Ehrenamtliche, wenn sie sich den Bus der Einrichtung ausleihen oder man gemeinsam den internationalen Austausch plant. 3 Strategien im pädagogischen Handeln auf SMP Nach der Deskription dieser pädagogischen Facetten werden nun die Strategien der pädagogischen Fachkräfte dargelegt, die diese mit der Nutzung von SMP verbinden. Dazu werden exemplarisch drei pädagogische Fachkräfte – Erik, Bernd und Franzi – vorgestellt. Der Begriff der Strategie ist hier an das Konzept des sinnhaften Handelns von Max Weber angelehnt. Demnach wird eine Strategie dann unterstellt, wenn die pädagogischen Fachkräfte ihr Handeln und ihre Handlungsabsichten im Interview nachvollziehbar begründet darstellen konnten. Da diese mitunter von Affekten bestimmt sind, werden in einem ersten Schritt die beeinflussenden Haltungen, welche die pädagogischen Fachkräfte zu SMP haben, zusammenfassend vorgestellt. Anschliessend werden die verschiedenen Ziele und Strategien herausgearbeitet und aufgezeigt, inwiefern sich diese entwickelt haben. 3.1 Erik Erik nimmt eine kritisch-distanzierte Haltung zu SMP ein: Er bezeichnet sie als «potenziell verlogen» und nutzt privat weder Facebook noch WhatsApp. Er sieht zwar in der WhatsApp-Nutzung der jungen Menschen Parallelen zur eigenen SMS-Nutzung, über die man sich schnell absprechen oder Dinge abstimmen könne, grenzt sich aber zugleich ab, indem er die Kommunikation mittels Sprachnachrichten als «noch viel alberner» bezeichnet. In der beruflichen Nutzung von SMP sieht er Vorteile und nutzt diese auch, wenngleich er anmerkt, dass er es bevorzugen würde, ohne sie zu arbeiten und dies als ein Muss – im Sinne einer lebensweltlichen Orientierung – wahrnimmt. Erik benennt drei ausschlaggebende Gründe, die JFE bei Facebook anzumelden: (1) Um dort präsent zu sein, wo die jungen Menschen unterwegs sind und im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit für Angebote der JFE zu werben. (2) Um im Sinne einer aktuellen Informiertheit zu wissen, welche Themen gerade die Lebenswelt der BesucherInnen bestimmen und im Einzelfall sensibilisiert zu sein für Unterstützungsbedarfe. (3) Um Kontakt auch zu denjenigen BesucherInnen aufrechtzuerhalten bzw. ggf. herzustellen, die sich derzeit nicht in der Einrichtung aufhalten. Mit diesen Zielen stimmig ist die Tatsache, dass Eriks JFE ein Profil bei Facebook verwendet. Obgleich dieses Profil von den Facebook-AdministratorInnen bereits mehrfach gelöscht wurde, weil es nicht einer Person zugeordnet ist, sondern der JFE, halten die pädagogischen Fachkräfte daran fest. Denn nur über Facebook-Freundschaften erhalten sie in ihrem Newsfeed die entsprechenden Informationen der BesucherInnen aus deren Postings. Stimmig ist auch, dass das Lesen von Newsfeeds, Likes und Kommentaren – sofern es die Zeit zulässt – nahezu tägliche Routine zum Arbeitsbeginn ist. Ist die Zeit knapper, beschränkt sich die Nutzung auf das Lesen und Beantworten von eingegangenen Nachrichten. Auffällig ist, dass Erik im Interview wiederholt anmerkt, dass sich an der Facebook-Nutzung in den vergangenen fünf Jahren nichts geändert habe. Seine Schilderungen bestätigen, dass das Eingehen auf Gesprächsanfragen im Sinne einer Onlineberatung oder -begleitung nach wie vor seltene Ausnahmen darstellen (Hausarrest, entfernter Ausbildungsplatz oder Heimunterbringung). Als einzige Änderung erklärt Erik, dass Nachrichten, die er über Facebook sendet, nicht mehr verlässlich gelesen werden, weil sich die jungen Menschen seltener dort einloggen und andere SMP bevorzugen. Eine neue SMP-Strategie gebe es trotz dieses Plattformwechsels nicht. Man sei jetzt von Trägerseite lediglich dazu übergegangen, eine neue Webseite für die JFE einzurichten. Das Team der JFE habe sich bewusst gegen die Nutzung der derzeit angesagtesten SMP Instagram und Snapchat entschieden, da die Halbwertszeit als gering eingestuft werde und man auch bei den BesucherInnen festgestellt habe, dass diese die meisten SMP als Spielerei einordnen. Die derzeit einzige ernstzunehmende Kommunikationsplattform für die BesucherInnen stelle WhatsApp dar. Die WhatsApp-Nutzung erfolgt in Eriks Einrichtung über ein Diensthandy und ist auf ein Minimum begrenzt. Das Handy liege überwiegend in der Schreibtischschublade und werde nur im Kontext von Fahrten und Exkursionen genutzt. Als Grund nennt er, dass die BesucherInnen der JFE meist kein Guthaben auf ihren Handys hätten und WhatsApp lediglich Datenvolumen koste und somit für die BesucherInnen als attraktive Kommunikationsplattform erscheine. Aus Kontextinformationen kann des Weiteren vermutet werden, dass ein entscheidendes Argument für die Anschaffung und Bereitstellung von Diensthandys der Schutz der Privatsphäre der pädagogischen Fachkräfte war. 3.2 Bernd Bernd vertritt eine positiv-befürwortende Haltung gegenüber SMP: Er bewertet sie generell als «tolle Sache, wenn man damit umgehen kann» und sieht WhatsApp «schon eine ganze Zeit» als «Arbeitsmittel». Er bezeichnet die Plattform als «ein Geschenk der Sozialen Arbeit», weil man damit jeden erreichen kann. Sich zusätzlich auf Instagram aufzuhalten, kommt für Bernd auf Grund des hohen «Zeitfaktors» nicht in Frage. Er betont, für ihn relevant sei «hauptsächlich WhatsApp, wie für die meisten auch». Bernds berufliche Facebook-Nutzung gründet auf seiner privaten Nutzung. Er besitzt ein Profil, über das er auch beruflich interagiert. Im Kontext der beruflichen Nutzung hatte er gezielt eine geschlossene Facebook-Gruppe für eine regelmässige Rollenspielrunde angelegt, damit sich deren Teilnehmer darüber abmelden könnten und alle anderen sogleich wüssten, dass das Treffen damit ausfalle. Nach dem gleichen Muster verfuhr seine Kollegin mit der Tanzgruppe der JFE. Ein weiterer Zweck war Bernd zufolge, dass sich die pädagogischen Fachkräfte der Einrichtung per Facebook-Nachrichten austauschen oder Informationen miteinander teilen konnten. Über diese Ziele hinausgehend erklärt Bernd, dass er Facebook inzwischen auch nutze, um Veranstaltungen für den öffentlichen Spieltreff am Wochenende zu erstellen und dass er mit einigen der jungen Menschen auf Facebook befreundet sei, was dazu geführt habe, dass ihm die ehemaligen BesucherInnen weniger entfremdeten. Um vor allem die StammbesucherInnen der JFE über geänderte Öffnungszeiten zu informieren, haben Bernd und seine Kollegin inzwischen eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet. Ebenso wie die Facebook-Nutzung wurde auch die WhatsApp-Nutzung schrittweise ausgedehnt. Von Zeit zu Zeit nutzen junge Menschen die Gruppe nun, um lustige Bilder oder Bilder ihrer Haustiere zu posten, was Bernd lediglich unkommentiert zur Kenntnis nehme. Einige junge Menschen nutzen den vorhandenen Kontakt darüber hinaus, um die pädagogischen Fachkräfte per persönlicher Nachricht um Unterstützung anzufragen. In solchen Fällen entscheidet Bernd situativ, ob er darauf eingeht, indem er darauf antwortet oder ein späteres Gespräch in der JFE initiiert. 3.3 Franzi In Franzis Äusserungen wird eine distanzierte Haltung gegenüber digitalen Kommunikationsmedien deutlich: Im Privaten nutzt sie Facebook nicht. Einen WhatsApp-Account hat Franzi zwar, aber sie sagt, für ihren Freundeskreis sei WhatsApp kein Kommunikationsmedium des Alltags und sie bevorzuge andere Kommunikationskanäle. Sie befürchtet, Internetkommunikation fördere Oberflächlichkeiten statt intensiver Gespräche, sie hat Angst vor Missverständnissen und Unehrlichkeiten. Das gesamte Team der Einrichtung steht laut Franzi auf dem Standpunkt, dass die gesellschaftliche Entwicklung zwar nicht an einem vorbeigehe, dass man sie aber «sehr wohl auch ein Stück weit nicht mittragen» müsse. Man versuche den jungen Menschen auch wieder «alte» Kommunikationswege zu vermitteln. Wenngleich sich Franzi und das Team der Einrichtung bewusst den gesellschaftlichen Entwicklungen hin zu einer Mediatisierung entgegenstellen, schätzt sie SMP letztlich doch als für die Arbeit «wichtig» ein: Die Entwicklung sei eine ungewollte Notwendigkeit, denn SMP seien für die jungen Menschen «bedeutend geworden» und durch ihre berufliche Nutzung signalisiere sie entsprechende «Wertschätzung». Eine ihren Handlungsgrundsätzen entsprechende KlientInnenorientierung führte dazu, dass Franzi und das Team der JFE nach «langem Hadern» bewusst von MySpace zu Facebook gewechselt sind, um dem SMP-Wechsel der jungen Menschen gerecht zu werden. Ziel war und ist es, möglichst viele Menschen – Bands und potenzielle BesucherInnen von Veranstaltungen – zu erreichen, indem auf Facebook für die Veranstaltungen und die JFE selbst geworben wird. Ausserdem sollten die eigenen Erfahrungen mit SMP genutzt werden, um die jungen Menschen bei ihrer SMP-Nutzung durch Aufklärung zu schützen. Um bestimmte Teile der Arbeit weiterhin effizient gestalten zu können, entschlossen sich Franzi und das Team der JFE, ab dem Jahr 2016 erneut dem veränderten Nutzungsverhalten ihrer KlientInnen zu folgen und die SMP WhatsApp beispielsweise für Absprachen mit Ehrenamtlichen zu nutzen. Bei der Facebook-Nutzung hat sich das Team darauf verständigt, den Umfang der beruflichen Nutzung möglichst gering zu halten und Facebook nur punktuell zu nutzen, um auf (besondere) Veranstaltungen aufmerksam zu machen. Facebook sollte bewusst nicht inflationär gebraucht werden, indem jeder Part des Tagesablaufs der JFE angekündigt oder dokumentiert wird. Franzi bezeichnet dies als «unser[en] Ansatz». Dazu zählt ebenso, dass Veranstaltungen in angemessener Sprache und ohne Superlative beworben sowie dass Fotos nur nach bestimmten Regeln veröffentlicht werden. Daneben setzt Franzi auch Grenzen, über die sich das Team nicht explizit abgestimmt hat, von denen sie aber auf Grund der Erfahrung in der alltäglichen Arbeit annimmt, dass im Team alle einen ähnlichen Kurs verfolgen. Durch eine klare Fokussierung auf die Ziele und mittels Absprachen im Team wird versucht, nicht-antizipierte Nebeneffekte gering zu halten. Die aktuelle Nutzung des Facebook-Accounts hat sich dennoch von der obigen Strategie schrittweise entfernt. Nach wie vor werden über die Facebook-Seite Veranstaltungen bekannt gegeben und die eigenen SMP-Erfahrungen genutzt, um die jungen Menschen durch Aufklärung zu schützen. Im Kontext von Veranstaltungswerbung streut Franzi die Informationen nun in den verschiedenen Facebook-Gruppen im Kiez bzw. bittet um Aufnahme in deren Veranstaltungskalender. Das daraus entstandene Netzwerk nutzt sie, um sich von Veranstaltungsbekanntmachungen anderer inspirieren zu lassen oder um mit den BesucherInnen der JFE Ausflüge zu unternehmen. Besonders unerwartet sei es laut Franzi, dass NachbarInnen der JFE inzwischen begonnen hätten, Kontakt über die Facebook-Seite aufzunehmen und die pädagogischen Fachkräfte im Sinne «wachsamer Nachbar» über störende Aktivitäten auf dem Gelände ausserhalb der Öffnungszeiten hinzuweisen. Da dies freundlich geschehe, bewertet Franzi dies als «wirklich eine positive Quelle», die es ermögliche, in den Dialog zu gehen und Lösungen zu finden. Durch ein Facebook-Profil, das zunächst eigentlich der Administration der Facebook-Seite anstatt kommunikativen Zwecken diente, erhält Franzi inzwischen im Newsfeed Informationen von ehemaligen PraktikantInnen und BesucherInnen, die mit dem Profil befreundet sind. Diese Postings sind nicht bewusst adressiert, ermöglichen Franzi jedoch pädagogisch wertvolle, lebensweltliche Einblicke. Nicht antizipiert hatten Franzi und das Team des Weiteren die Möglichkeit einer pädagogischen Intervention über Facebook. Als sie jedoch in ihrem Newsfeed die Selbstmordankündigung eines Besuchers entdeckten, konnten sie pädagogisch intervenieren, indem sie sich daraufhin die Handynummer besorgten, um ihn anschreiben und mit ihm kommunizieren zu können. Ähnlich wie sich die Facebook-Nutzung allmählich inhaltlich ausdehnte, verhält es sich mit der WhatsApp-Nutzung. Dieses wurde zunächst nur gezielt für die Absprache mit Ehrenamtlichen genutzt und sei heute zwar noch nicht alltäglich, aber zunehmend. Dabei nimmt nicht nur die Quantität der Interaktion zu, sondern ebenso die Intensität der Kommunikation: Franzi berichtet, wie sie eine Jugendliche, die sie lange nicht mehr gesehen hatte, auch bereits persönlich über WhatsApp angeschrieben hat, um sie als Unterstützung beim Catering zu gewinnen. Die sich daraus ergebende Interaktion reflektiert Franzi als «natürlich auch schon eine ganz simple Form der Beziehungsarbeit». Mit der Zunahme an Facetten hat sich auch die Häufigkeit der Nutzung von SMP erhöht. Während Franzi sich früher punktuell bei Facebook eingeloggt habe, um eine Veranstaltung zu posten, gehöre es jetzt zum Tagesablauf. Mitunter logge sie sogar mehrmals täglich ein, wenn sie eine Antwort erwarte. Ohnehin sei es zunehmend eine Aufgabe für Hauptamtliche geworden, statt, wie ursprünglich geplant, die ehrenamtlichen Mitarbeitenden nur bei der Pflege des Accounts zu begleiten. 4 Creep-in – ein Phänomen beruflicher Internetkommunikation In den letzten beiden der obigen Beispiele zeichnet sich mit der schrittweisen Ausdehnung der Handlungsfacetten und dem Auftauchen von nicht-antizipierten Nebeneffekten ein Phänomen ab, das von Mishna et al. als Creep-in bezeichnet wird (2012)1. Während die von Mishna et al. befragten pädagogischen Fachkräfte erklärten, dass sich zunächst die Nutzung von Internetkommunikation (E-Mail, Messengerdienste etc.) in der Praxis vor allem für administrative Zwecke als praktisch und effizient erwiesen habe, zeigt sich zugleich deutlich, dass sich die elektronische Kommunikation in die Face-to-Face-Arbeit eingeschlichen hat — it crept in. Eine Kernerkenntnis war, dass die Internetkommunikation die Arbeit insgesamt und besonders die Arbeitsbeziehungen immens beeinflusst. Dies zeichnet sich an vier, einander überschneidenden Themenbereichen ab: KlientInnenorientierung, die Büchse der Pandora, ethische Grauzone und Aufweichung von Grenzen (Mishna et al. 2012, 280ff.). 4.1 KlientInnenorientierung Laut Mishna et al. gehe die Initiative der Internetkommunikation meist von Seiten der KlientInnen aus. Insbesondere jüngere KlientInnen nutzten, wenn sie die entsprechenden Kontaktdaten hatten, elektronische Wege, die pädagogischen Fachkräfte zu kontaktieren. Der Ansatz, die KlientInnen dort abzuholen, wo sie stehen, lässt einige der interviewten pädagogische Fachkräfte auf diese Initiative eingehen. In Folge stellten die pädagogischen Fachkräfte jedoch ambivalent fest, dass sie mit dem Beantworten einer harmlosen, organisatorischen Nachricht eine Tür geöffnet hatten. Der Schritt von einer Terminverschiebung zum Mitteilen von Befindlichkeiten und dem Ankündigen von Gesprächsinhalten sei ein sehr kleiner (Mishna et al. 2012, 280f.). 4.2 Die Büchse der Pandora Die o.g. Türöffnung bezeichnen Mishna et al. symbolisch als Büchse der Pandora. Bereits die einmalige Nutzung von SMP erzeugt eine irreversible Situation. Die Nutzung von SMP lässt sich nicht wieder in die Büchse zurückdrängen, sondern erfordert eine reflektierte Auseinandersetzung und die Entwicklung von Strategien für eine verträgliche und effiziente Nutzung. Die pädagogischen Fachkräfte seien bezüglich der unvorhersehbaren Nebeneffekte, die sich generell aus den neuen technischen Möglichkeiten ergeben, unsicher. Zwar sei es positiv, wenn KlientInnen, die sich im Gespräch nur schwer öffnen, Gesprächsinhalte per E-Mail ankündigen, negativ sei jedoch, wenn schlechte Sprachkenntnisse dazu führen, dass Kinder E-Mail-Korrespondenzen ihrer Eltern führen und Diskretion und der Schutz von vertraulichen Informationen somit nicht mehr gewährleistet werden können. Auch befürchteten die pädagogischen Fachkräfte in hohem Masse, dass ihre KlientInnen sie missverstehen oder zeitverzögertes Antworten als mangelndes Interesse oder Engagement fehlinterpretieren könnten, was sich wiederum negativ auf die Arbeitsbeziehung auswirken könnte (Mishna et al. 2012, 281). 4.3 Ethische Grauzone Wenn grundlegende Arbeitsprinzipien und Standards wie Verschwiegenheit und Vertraulichkeit oder die Privatsphäre der pädagogischen Fachkräfte nicht sichergestellt waren, berichteten die pädagogischen Fachkräfte von Unwohlsein und Unsicherheiten im Handeln. Sie berichteten von der zunehmenden Erwartungshaltung einer 24/7-Erreichbarkeit und fühlten verstärkt die Notwendigkeit, klare professionelle Grenzen (wie Erreichbarkeit/Bürozeiten, Rollenverständnis und Verantwortlichkeiten) zu kommunizieren. Auch entstanden Unsicherheiten über die Motive von Facebook-Freundschaftsanfragen von KlientInnen (z. B. Versuche, die abgeschlossene Arbeitsbeziehung wieder aufzunehmen) und die Konsequenzen einer Ablehnung oder für das eigene Privatleben der pädagogischen Fachkräfte bei Annahme. Wie auch in Deutschland (vgl. Korfmacher 2011; Alfert 2015) forderten die pädagogischen Fachkräfte in der Studie von Mishna et al. die Verantwortlichen auf, klare Rahmenbedingungen zu schaffen und Leitlinien für das Handeln zu formulieren, um von diesen (ethischen) Dilemmata entlastet zu werden (vgl. Mishna et al. 2012, 281f.). 4.4 Aufweichung von Grenzen Die pädagogischen Fachkräfte bemerkten, dass die Nutzung von Internetkommunikation ein anderes sprachliches Verhalten mit sich bringt. Die Kommunikation sei legerer, was eine neue Dimension in die Arbeitsbeziehung einbringe. Ebenso würden die zeitlichen Grenzen einer Beratung ausgedehnt, indem die KlientInnen im Voraus und Nachhinein Nachrichten schrieben, die sich auf die Gesprächsinhalte bezogen. Die pädagogischen Fachkräfte berichten von einem Gefühl des Grenzübertritts, wenn ihre für administrative Zwecke gedachten E-Mail-Adressen für o.g. Beratungsinhalte genutzt werden und waren unsicher, wie sie die Grenzen wieder herstellen bzw. sich wieder aus der Internetkommunikation zurückziehen könnten. Nicht zuletzt beschreiben die pädagogischen Fachkräfte Erfahrungen von Grenzaufweichungen in der Paar- und Familienberatung, wenn eine Mutter «hilfreiche» Informationen über ihre Tochter/die Klientin an die pädagogische Fachkraft sendet (vgl. ebd., 282f.). Mishna et al. kommen zusammenfassend zu der Erkenntnis, das inzwischen entscheidende — und mehr als zunächst bewusste oder angenommene — Kernelemente des professionellen Handelns durch Internetkommunikation beeinflusst werden: professionelle Grenzen, der Schutz von Informationen, die Arbeitsbeziehung, rechtliche Grundlagen sowie Handlungsprinzipien und -abläufe. Sie erklären dieses Phänomen des Creep-in mit der Alltäglichkeit der Internetkommunikation und geben zu bedenken, dass es ein gesellschaftlich nicht mehr umzukehrender Prozess sei. Die Entscheidung, ob traditionelle Settings der sozialpädagogischen Arbeit von Internetkommunikation beeinflusst werden, liege zu einem guten Teil nicht mehr in den Händen der pädagogischen Fachkräfte. Sie werde sich, unabhängig von den persönlichen und fachlichen Präferenzen der pädagogischen Fachkräfte und der Träger, weiter in die professionellen Settings der Sozialen Arbeit einschleichen. 5 Strategien im Umgang mit ethischen Dilemmata, Grenzen und Regeln Obwohl Franzi (und das Team) sich bewusst entschieden, Facebook und WhatsApp zu nutzen, finden sich die von Mishna et al. identifizierten Themenbereiche des Creep-in auch in ihrer Nutzung. Zum einen liessen der SMP-Wechsel der jungen Menschen und eine KlientInnenorientierung den pädagogischen Fachkräften keine andere Wahl, als die angesagten SMP zu nutzen, um bestimmte Teile der Arbeit weiterhin effizient gestalten zu können. Ausserdem nimmt das Handeln mehr Facetten an und mehr Zeit in Anspruch als geplant und nicht alle Nebeneffekte wurden im Voraus antizipiert. Des Weiteren zeigen sich auch mehrere der von Mishna et al. angesprochenen Dilemmata und die Aufweichung von Grenzen. Im Folgenden wird anhand der WhatsApp-Nutzung aufgezeigt, wie Franzi mit den von Mishna et al. identifizierten ethischen Dilemmata und Grenzaufweichungen umgeht und welche Strategien sie ggf. daraus entwickelt hat, um die SMP möglichst professionell zu nutzen. Ebenso wie die von Mishna et al. befragten pädagogischen Fachkräfte äussert auch Franzi ein Unwohlsein in Bezug auf die Sicherstellung der Vertraulichkeit eines Gesprächs, wenn dieses über SMP stattfindet. Die Strukturen und ökonomischen Funktionsweisen von WhatsApp bzw. dessen Betreiber Facebook Inc. widersprechen dem Verschwiegenheitsprinzip (vgl. Becker 2018, vgl. Greis 2018). Da der Träger der JFE keine Diensthandys bereitstellt und dies laut Franzi auch zukünftig nicht zu erwarten sei, und sich somit aus der Verantwortung zieht, den pädagogischen Fachkräften klare Handlungsstrukturen bereitzustellen, sind die pädagogischen Fachkräfte der Einrichtung auf eine selbständige Lösungsfindung angewiesen. WhatsApp wird letztlich in eigener Verantwortung über Privathandys mit privatem WhatsApp-Account genutzt. Um dennoch – wenngleich in geringem Masse – Handlungssicherheiten herzustellen, spricht sich das Team der JFE ab und versucht, teilweise Handlungsleitlinien zu formulieren. Solche Absprachen entlasten die pädagogischen Fachkräfte in ihrer täglichen Arbeit. Beispielsweise erhalten nur «bestimmte Leute» die privaten Handynummern. Anlässe, in denen Franzi ihre Nummer weiter gibt, seien zum einen Vermietungen, wo sie für die externen MieterInnen als Ansprechpartnerin im Notfall zur Ver