Studies in Communication, Media (Jun 2011)
Öffentlichkeit in der DDR
Abstract
Wie hat sich die SED gut 40 Jahre ohne besonders viele Zwischenfälle an der Macht gehalten? Und wie entwickelte sich dann in einem von außen stabil wirkenden Staat eine Protestbewegung, die das System in sehr kurzer Zeit verschwinden ließ? Der Beitrag geht davon aus, dass sich diese beiden Fragen nur beantworten lassen, wenn man die einheimischen Massenmedien berücksichtigt. Um diese These zu stützen, wird zunächst ein Arena-Modell der Öffentlichkeit in der DDR entwickelt, in dem es neben den beiden Massenkommunikationsebenen (Angebote aus dem Osten und dem Westen), Veranstaltungsöffentlichkeiten (von offiziellen Paraden über Kunst und Nischen bis zu Gegenöffentlichkeiten und Protesten) sowie Encountern auch „interne Öffentlichkeiten“ gibt – Kommunikationsstrukturen, die für Beobachter aus dem Westen nicht zugänglich waren und gerade deshalb von Herrschenden wir Beherrschten als funktionaler Ersatz für ein autonomes Öffentlichkeitssystem genutzt wurden. Mit Hilfe von Archivmaterial, Inhaltsanalysen und Nutzerbefragungen wird anschließend gezeigt, wie die SED die Medien gelenkt und kontrolliert hat, so zugleich in die anderen Arenen hineinregieren und damit jede Verständigung über die Lage im Land unterdrücken konnte. Das System brach nicht nur zusammen, weil der Widerspruch zwischen dem positiven Meinungsklima in den Medien und den persönlichen Erfahrungen der Menschen immer größer wurde, sondern auch weil die „politisch inszenierte Öffentlichkeit“ immer weniger an den „stillschweigenden Konsens“ mit der Bevölkerung appellierte, um außen- und handelspolitische Interessen nicht durch übermäßige Kapitalismuskritik und Sozialismusrhetorik zu gefährden.