Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie (Jun 2017)

Form und Dramaturgie in Beethovens Violinkonzert . Zur Interpretation des Kopfsatzes durch Rudolf Kolisch und René Leibowitz

  • Jan Philipp Sprick

DOI
https://doi.org/10.31751/898
Journal volume & issue
Vol. 14, no. 1
pp. 53 – 66

Abstract

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Ein Schwerpunkt der Aufführungstheorie von Rudolf Kolisch liegt auf der Realisierung der ›richtigen‹ Tempi für Beethovens Musik. In diesem Beitrag wird eine Diskussion über »Aufführungsprobleme im Violinkonzert von Beethoven« von René Leibowitz und Rudolf Kolisch aus dem Jahr 1964 mit der Studioaufnahme des Violinkonzerts durch die beiden Künstler aus demselben Jahr in Zusammenhang gebracht. Voran gestellt ist ein kursorischer Überblick über aktuelle Forschungsliteratur zu diesem Werk, insbesondere im Hinblick auf dessen unkonventionelle Form. Meine eigenen Überlegungen zur formalen Gestaltung des Violinkonzerts widmen sich vor diesem Hintergrund der Frage nach dem Verhältnis von ritornellartiger Wiederkehr und zyklischer Sonatenform. Die sehr langen Tutti-Abschnitte des Werks werfen im Hinblick auf die Aufführung viele Fragen auf, sodass es kein Zufall zu sein scheint, dass gerade Aspekte von Interpretation und Aufführungspraxis in der wissenschaftlichen Literatur zu Beethovens Violinkonzert eine erstaunlich große Rolle spielen. Ein zentrales Ergebnis der vorgenommenen Analyse der Aufnahme Kolischs und Leibowitz’ ist, dass die beiden Künstler in Hinblick auf die Tempogestaltung stärker zwischen Solo- und Tutti-Abschnitten variieren als es die gemeinsame theoretische Diskussion nahelegt. Vermutet werden kann, dass durch diese Tempodisposition die ungewöhnliche Blockhaftigkeit von Beethovens Formgestaltung affirmativ herausgehoben werden sollte. // In Rudolf Kolisch’s theory of performance there is an emphasis on the realization of the ›right‹ tempo in Beethoven’s music. In this article, a discussion between René Leibowitz and Rudolf Kolisch from 1964 about “Aufführungsprobleme im Violinkonzert von Beethoven” (“Problems of Performance in Beethoven’s Violin Concerto”) is contextualized with the studio recording of the violin concerto by the two artists from the same year. This comparison is preceded by an overview of recent analytical literature on the work with an emphasis on its unconventional form. Against this background, my own reflections on the formal concept of the violin concerto focus on the relation of ritornello-like recurrence and cyclic sonata form. Since the long tutti passages in the orchestra pose a challenge to performers, it is no surprise that questions of performance play an important role in analytical studies on the concerto. An important result of the analysis of Kolischʼs and Leibowitzʼs recording is that their tempi in the solo and tutti passages vary more than their theoretical discussion suggests. It may be assumed that this disposition of tempo is used to highlight and to affirm the unusual bloc structure of Beethoven’s formal design.

Keywords