Studies in Communication, Media (Jul 2021)

Das Mögliche als Kritik des Existierenden: Kritische Forschung in der Kommunikationswissenschaft und ein Beispiel kritischer Prozessforschung über die Entstehung und Entwicklung des Computers

  • Friedrich Krotz

DOI
https://doi.org/10.5771/2192-4007-2021-2-222
Journal volume & issue
Vol. 10, no. 2
pp. 222 – 252

Abstract

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Der Beitrag referiert zunächst kurz die insgesamt recht reduzierte gesellschaftskritische Forschung im Rahmen der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, die eher wenig Spuren hinterlassen hat. Vorgeschlagen wird demgegenüber unter den heutigen Bedingungen der Mediatisierung und Digitalisierung, kritische Prozessforschung zu betreiben. Dafür wird auch ein Kritikbegriff eingeführt, der auf der Gegenüberstellung des Möglichen zum Existierenden beruht. Im zweiten Teil wird dazu ein ausführliches Beispiel für kritische Prozessforschung entwickelt, das die Entstehung des Computers von der Idee des Charles Babbage um 1840 und dessen Entwicklung und Verbreitung bis heute rekonstruiert. Der Apparat entstand für eine fabrikmäßig organisierte Datenverarbeitung im Kontext einer kapitalistisch orientierten Teilung geistiger Arbeit. Durch Miniaturisierung und Vernetzung werden die Milliarden Computer aber heute in den Büros und Haushalten primär als universelle Medien für Kommunikation und Information verwendet, wobei Nutzerinnen und Nutzer von der in der Regel gekauften Software und den Bedingungen der Netzkommunikation abhängig sind, die beide von den großen Internetunternehmen kontrolliert werden. Damit entsteht eine neue, gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung, denn die Nutzerinnen und Nutzer erzeugen unter eher intransparenten Bedingungen genau die Daten, die von den großen Internetunternehmen gesammelt, in ihren Computerfarmen und Supercomputern ausgewertet und an beliebige Unternehmen und auch den Staat verkauft oder weitergegeben werden. Damit können diese ihre Geschäftsmodelle umsetzen und nahezu uneingeschränkt Nutzerinnen und Nutzer beeinflussen und manipulieren. Insofern hat sich Babbages kapitalistisches Fabrikmodell in einem gesamtgesellschaftlichen Prinzip verwirklicht, bei dem die einen den anderen zuarbeiten, damit diese sie ausbeuten können. Insbesondere wird damit ein grundlegendes menschliches und unverzichtbares Potenzial, nämlich das des kommunikativen Handelns und der Symbolverarbeitung in einer neuen Weise kontrolliert und strukturiert. Beispielhaft werden dann im letzten Teilkapitel daraus resultierende mögliche mit den existierenden Nutzungsbedingungen verglichen und so eine Kritik dieser Entwicklungen erarbeitet.