Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie (Jun 2020)

Gender, Schaffensprozess und musikalische Analyse. Clara Schumanns Drei gemischte Chöre (1848)

  • Thomas Wozonig

DOI
https://doi.org/10.31751/1030
Journal volume & issue
Vol. 17, no. 1
pp. 117 – 145

Abstract

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Der Beitrag befasst sich mit den 1848 komponierten Drei gemischten Chören von Clara Schumann, die wie nur wenige andere ihrer Kompositionen Einblick in das künstlerische Miteinander des Paares Schumann erlauben: Ihre Entstehung verdankt sich den gemeinsamen Aktivitäten im Dresdner Verein für Chorgesang, und nach der Uraufführung haben Clara und Robert Schumann die Stücke noch gemeinsam einem Bearbeitungsprozess unterzogen. Durch eine genaue Analyse des Autographs wird deutlich, dass Robert Schumanns Eingriffe keinesfalls als unidirektionale ›Korrekturen‹ der Erstfassung Clara Schumanns erscheinen, sondern vielmehr von einem gemeinsamen, mitunter dialogischen Bearbeitungsprozess ausgegangen werden muss. Dies wird vor allem anhand des am stärksten bearbeiteten Lieds »Gondoliera« gezeigt: Vor dem Hintergrund der biographischen und institutionellen Voraussetzungen der Komposition werden die verschiedenen Bearbeitungsschichten des Stücks diskutiert, die in ihnen greifbaren kompositorischen Konzepte analytisch reflektiert, und so letztlich demonstriert, wie die unterschiedlichen Blickwinkel einer kulturhistorisch orientierten Musikanalyse Aspekte einer Komposition aufzuzeigen vermögen, die für traditionelle, autonomieästhetische Zugangsweisen kaum zugänglich sind. Clara Schumann’s three a cappella part songs from 1848 (Drei gemischte Chöre) like few other of her compositions allow for substantial insight into the artistic dialogue of the Schumann couple: these songs were composed in the context of common activities in the Dresden Verein für Chorgesang and jointly revised after their first performance. A close reading of the autograph demonstrates that Robert Schumann did non simply correct Clara Schumann’s original version in a unidirectional process of overwriting, but that we can witness a dialogic reworking process. This is exemplified mainly by exploring the various stages in the compositional process and by analytically reflecting the implied compositional concepts against the songs’ biographical and institutional preconditions. The article thus aims at demonstrating how a historico-culturally informed analytical approach can provide insights into a composition that may seem inaccessible for traditional perspectives of structural analysis.

Keywords