Zeitschrift für Praktische Philosophie (Jun 2018)

‚Rückkehr in die Kindheit‘ oder ‚Tod bei lebendigem Leib‘?

  • Mark Schweda,
  • Karin Jongsma

DOI
https://doi.org/10.22613/zfpp/5.1.8
Journal volume & issue
Vol. 5, no. 1

Abstract

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Unsere Sicht der Demenz ist von kulturellen Metaphern geprägt. Sie ziehen Analogien zu vertrauten Erfahrungsbereichen und eröffnen so ein Verständnis von einem ansonsten schwer fassbaren und letzten Endes unergründlichen Geschehen. In zeitgenössischen Diskursen über die Demenz spielen insbesondere zwei biographische Metaphern eine maßgebliche Rolle: die der ,Rückkehr in die Kindheit‘ und die des ,Todes bei lebendigem Leib‘. Der Beitrag unterzieht beide Vorstellungen einer kritischen Reflexion. Er erläutert zunächst die kulturgeschichtliche Herkunft und Bedeutung der Kindheits- und Todesmetapher. Im Anschluss geht er ihren Implikationen für das Verständnis von Demenz und die Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen nach. Dabei kommt eine Lebensverlaufsperspektive zum Tragen, die die Bedeutung der zeitlichen Erstreckung und Verlaufsstruktur des menschlichen Lebens für die ethische Theoriebildung systematisch zu berücksichtigen sucht. Auf diese Weise lässt sich verdeutlichen, dass beide Metaphern die Altersdemenz letztlich einem anderen Punkt des menschlichen Lebens angleichen und sie damit in je unterschiedlicher Weise als eine Art biographischer Normabweichung auffassen. Die Auseinandersetzung erlaubt Schlussfolgerungen mit Blick auf medizin- und pflegeethische Debatten um Selbstbestimmung, Stellvertreterentscheidungen und Vorausverfügungen im Kontext der Altersdemenz. Auf einer theoretisch-konzeptionellen Ebene verdeutlicht sie darüber hinaus auch die Bedeutung einer biographie- und kultursensiblen Perspektive für die ethische Theoriebildung im Allgemeinen.

Keywords