Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie (Jan 2006)

Harmonische Mehrdeutigkeit und ihre Gründe

  • Andreas Moraitis

DOI
https://doi.org/10.31751/217
Journal volume & issue
Vol. 3, no. 1
pp. 55 – 68

Abstract

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Wenn von harmonischer Mehrdeutigkeit und den daraus resultierenden Schwierigkeiten für die Analyse die Rede ist, dürfte der Gedanke an Musik der Spätromantik – mit Richard Wagners Tristan als Paradigma –kaum zu unterdrücken sein. Indessen stellte schon die Harmonielehre des frühen 18. Jahrhunderts ihren Begründer Jean-Philippe Rameau vor Probleme, die nicht als Folge eines noch ungenügenden Entwicklungsstands der Theorie mißverstanden werden dürfen, sondern als Ausdruck prinzipieller, die Wahrnehmung, Auffassung und Interpretation musikalischer Zusammenhänge betreffender Gegebenheiten anzusehen sind. Anhand einiger Beispiele harmonisch ambivalenter Konstellationen unterschiedlichen Typs wird gezeigt, daß Mehrdeutigkeit in ihrer manifesten Form auf dem Konflikt von Bedeutungsebenen (historischer, perzeptueller oder sprachlicher Art) beruht, die sich nicht notwendig erst in problematischen Situationen konstituieren, sondern wenigstens zum Teil permanent vorhanden sind. Dementsprechend kann der Eindruck von Eindeutigkeit auf die Kohärenz der für die Rezeption maßgeblichen Kontexte zurückgeführt werden: Musiktheoretische Begriffe, die aus solchen ›eindeutigen‹ Sachverhalten abgeleitet sind, verlieren an Relevanz oder werden unbrauchbar, sobald das konstitutionelle Gefüge in Bewegung gerät.

Keywords