MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung (Jul 2024)

How to Change a Running System. Infrastrukturinnovationen im Internet

  • Melanie Wilde

DOI
https://doi.org/10.21240/mpaed/diss.mw/2024.07.04.X
Journal volume & issue
no. How to Change a Running System

Abstract

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Kaum ein Bereich der modernen Gesellschaft ist heutzutage ohne internetbasierte Technologien denkbar. Die Basis solcher Techniken ist eine immer komplexer werdende und sich ausbreitende Internetinfrastruktur, die permanent aufrechterhalten und den wachsenden Anforderungen entsprechend ausgebaut werden soll. Das wachsende Interesse an internetbasierten Informations- und Kommunikationstechnologien hat eine Vielzahl von Studien hervorgebracht, die sich mit der Neugestaltung und Einrichtung von Internettechnologien befassen oder deren Wirkung untersuchen. Die Umgestaltung bestehender informationstechnischer Systeme im Sinne des Umbaus der bestehenden Internetinfrastruktur wurde bislang aber gänzlich ausser Acht gelassen. Dabei ist insbesondere der Umbau der Internetinfrastruktur ausserordentlich komplex. Er bedarf besonderer Beachtung, da dieser im laufenden Betrieb unter Berücksichtigung der Interoperabilität mit bereits bestehenden Technologien in eine stetig wachsende informationstechnische Infrastruktur erfolgen muss. Die vorliegende Arbeit verfolgt daher das Ziel, diese Forschungslücke anhand der Untersuchung der Dynamiken beim Umbau der bestehenden Internetinfrastruktur ein Stück weit zu schliessen und einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Infrastrukturforschung zu leisten. Dies geschieht am Beispiel der Analyse des Internetprotokolls; von der Einführung des TCP/IP bis zum in der Einführung befindlichen Internet Protocol Version 6 (IPv6) mit dem Ziel, eine gegenstandsbezogene Theorie zum Umbau der Internetinfrastruktur zu generieren. Dazu wird auf Basis eines systematischen Literaturreviews zum Umbau der Internetinfrastrukturforschung der Einführungsprozess detailliert am Beispiel des Internetprotokolls durch eine Methodentriangulation aus Dokumentenanalyse und Interviews historisch vergleichend rekonstruiert. Dies geschieht in Anlehnung an die Verschränkung der Makroperspektive des Ansatzes grosstechnischer Infrastruktursysteme (GTS) (vgl. etwa Mayntz 1988; Mayntz und Hughes 1988; Braun und Joerges 1994; Hughes 1983; 1987; Joerges 1988; 1996) (engl. Large Scale Infrastructures) mit der Mikroperspektive der Akteur:innen-Netzwerk-Theory (ANT) (vgl. etwa Callon und Latour 2006b [1981]; Callon 2006a [1986]; Latour 1987; Law 2006 [1992]) und basierend auf der Forschungslogik sowie den Methodologien der Grounded Theory (GTM) (vgl. etwa Glaser und Strauss 1967; Strauss und Corbin 1996; 1990). Dabei werden die teilnehmenden Akteur:innen in soziale Akteur:innen, sachliche Elemente und zeitlich-räumliche Konstellationen geclustert sowie deren Wirkung innerhalb des Umbauprozesses der Internetinfrastruktur analysiert. Weiter werden Phasen im Entwicklungs- und Einführungsprozess historisch vergleichend generiert und die verwendeten Strategien zur Entwicklung und Einführung von Infrastrukturtechniken im laufenden System herausgearbeitet. Die Arbeit zeigt hier einen signifikanten Wandel im Bereich der sozialen, sachlichen und zeitlich-räumlichen Akteur:innenkonstellationen auf, welcher nicht ausschliesslich historisch bedingt ist, sondern sich auf die Besonderheiten des Umbaus zunehmend komplexer werdender laufender Infrastruktursysteme zurückführen lässt. Einerseits wird herausgestellt, welche technischen, sozialen und zeitlich-räumlichen Akteur:innenkonstellationen treibend auf den Entwicklungs- und Einführungsprozess wirken und wie die zunehmende Komplexität technischer Strukturen, die Notwendigkeit technischer Interoperabilität und die daraus resultierende zunehmende Standardisierung Einfluss nehmen. Andererseits wird aufgezeigt, wie sich Strategien zur Entwicklung und Einführung zum Beispiel durch sich wandelnde zeitlich-räumliche und organisationale Strukturen verändert haben. Die Studie erarbeitet dabei am Beispiel der Untersuchung der Entwicklung des Internets und Einführung des TCP/IP bis zum IPv6 drei zentrale Entwicklungsphasen für den Umbau der Internetinfrastruktur: Die Innovationsphase, die Stabilisierungsphase und die Migrationsphase. Während in der Innovationsphase die Entwickler:innen zugleich die Nutzer:innen der Technologie waren und das System für den Umbau abgeschaltet wurde, gewährleisten heutzutage in der Migrationsphase vermehrt Internetstandards die Operabilität mit bereits bestehenden Technologien. Weiter werden in der Migrationsphase Testumgebungen zur Erprobung technischer Neuerungen eingerichtet sowie eine schrittweise Implementierung mithilfe von Übergangslösungen verfolgt. Schliesslich stellt die Arbeit heraus, dass Entwicklung und Einpassung reflexiv sind und aufgrund der Komplexität des Internets (soziale und technische Komplexität) zunehmend reglementiert werden. Infolge der Ausweitung des Netzes werden sie ausserdem global verteilt. Weiter lässt sich ein Trend von einer sozialen, sachlichen und zeitlich-räumlichen Homogenität in der Entwicklung und Einführung von Internetinfrastrukturtechnologien beobachten, die sich zu einer in jedem Aspekt wirkenden Heterogenität verschiebt. Diese Veränderungen sind keineswegs isolierter Art. Vielmehr beeinflussen sie ihr Umfeld in einem solchen Mass, dass sie nicht-intendierte Nebenfolgen erzeugen, die die Basis für weitere Entwicklungen bilden.

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