Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie (Dec 2018)
Vom ›Fremdling‹ zum ›Maßstab‹. Zum Einzug der westlichen Musiktheorie in die arabische Welt bis ins frühe 20. Jahrhundert
Abstract
Europäische Musik wurde im 19. Jahrhundert in den arabischen Ländern zum Symbol für Fortschritt und das Besitzen, Lernen und Spielen von europäischen Musikinstrumenten zu einem Statussymbol, das die Zugehörigkeit zu einer höheren gesellschaftlichen Schicht ausdrückte. Im Zuge der umfangreichen Staatsreformen und Modernisierungsprogramme – insbesondere in Ägypten – wurden ab 1820 Militärkapellen und -musikschulen nach europäischem Vorbild gegründet. Somit drang die europäische Musik auch in die ärmeren Bevölkerungsschichten ein. Mit der Gründung zahlreicher Missionsschulen in Syrien und Ägypten und der zunehmenden Aktivität europäischer wie amerikanischer Missionare, für die Musik ein wichtiges Mittel darstellte, das Evangelium zu verkündigen, wurden viele christliche wie nicht-christliche Araber aus einfachen Verhältnissen weiteren Formen westlicher Musik ausgesetzt. Für die Unterweisung in der westlichen Musik waren somit arabischsprachige Schriften zur westlichen Musiktheorie unentbehrlich (Taʿlīmcibaşı; Edwin Lewis; Rizqallāh Šiḥāta; Don Angelo Bormida; Aḥmad Amīn ad-Dīk). Der vorliegende Aufsatz widmet sich zuerst diesen Schriften und zielt darauf, ihre Entstehungsbedingungen und ihren Inhalt zum ersten Mal systematisch darzulegen. Daraufhin wird dem parallel dazu zu beobachtenden Einfluss westlicher Musiktheorie auf die Theorien arabischer Musik nachgegangen (Mīḫāʾīl Mušāqa/Louis Ronzevalle; Ibrāhīm Beg Muṣṭafā; Muḥammad Ḏākir Beg). Der Text liefert damit umfangreiches Material für eine Erforschung der Geschichte der Verbreitung, Rezeption und Aneignung westlicher Musiktheorie in den arabischen Ländern. // In the nineteenth century European music became a symbol of progress in the Arab world. Possessing, learning, and playing a European musical instrument became a status symbol that expressed an affiliation with a higher social class. In connection with state reforms and programs of modernization – especially in Egypt – military music bands and schools were established from 1820 onwards based on European models. As a consequence, European music was introduced to the poorer segments of the population. With the founding of many missionary schools in Syria and Egypt and the growing activity of European and American missionaries, who considered music an important medium for spreading the gospel, many Christian and non-Christian Arabs from poor backgrounds were exposed to other forms of Western music. Thus, for instruction in Western music Arabic writings on Western music theory became essential (Taʿlīmcibaşı; Edwin Lewis; Rizqallāh Šiḥāta; Don Angelo Bormida; Aḥmad Amīn ad-Dīk). The first part of the present article focuses on these writings and aims to systematically describe their contents and the circumstances in which they were created for the first time. Subsequently, the observable parallel influence of Western music theory on theories of Arab music is traced (Mīḫāʾīl Mušāqa/Louis Ronzevalle; Ibrāhīm Beg Muṣṭafā; Muḥammad Ḏākir Beg). The article provides extensive material for the study of the history of the dissemination, reception, and adoption of Western music theory in the Arab world.
Keywords