Ars & Humanitas (Jul 2017)

Navid Kermanis politische Essays

  • Špela Virant

DOI
https://doi.org/10.4312/ars.11.1.189-203
Journal volume & issue
Vol. 11, no. 1

Abstract

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„Ich habe keine Ahnung.” (Kermani, 2009, 86) Das behauptet Navid Kermani in seinem Essay Die Terroristen sind unter uns, der 2009 im Band Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime erschienen ist. Es ist ein sehr wichtiger, ja zentraler Satz, der oft gedacht, aber selten öffentlich ausgesprochen wird. Niemand, der eine leitende Position in der Politik, der Wirtschaft oder beim Militär bekleidet, darf es sich leisten, diesen Satz in den Medien zu äußern, aber auch im Wissenschaftsdiskurs darf er nicht verwendet werden, es sei denn als Zitat. Es gibt mindestens drei Eigenschaften dieser Aussage, die sie für die erwähnten Diskurse ungeeignet machen. Erstens das Sprachniveau: durch den etwas saloppen Beiklang lässt sich die Aussage dem umgangssprachlichen Niveau zuordnen und nicht dem Niveau offizieller oder wissenschaftlicher Reden. Zweitens ihre Struktur: durch die Ich-Form wird der Satz zur Aussage des sprechenden Subjekts über sich selbst, nicht über einen Sachverhalt. Und drittens die Semantik: Das verneinte Substantiv spricht dem Subjekt nicht nur jedes rationale Wissen ab, das sich argumentieren und belegen ließe, sondern auch jede andere Grundlage, auf der sich eine Aussage zu einem Sachverhalt formulieren ließe, also auch Vermutungen, Vorurteile, Spekulationen, Gefühle oder die Intuition. Das Problem dabei ist nicht, dass auch diese alternativen Grundlagen fehlen, sondern dass sie, durch die Wahl des Substantivs „Ahnung”, überhaupt als Möglichkeit eingeräumt werden. Wenn durch diese Merkmale die zitierte Aussage aus dem Rahmen fachbezogener Diskurse fällt und sogar für journalistische Textformen unpassend ist, so ist sie im literarischen Diskurs durchaus zulässig.

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