Gender (Jun 2022)

Über die Radikalität des Fragilen

  • Barbara Holland-Cunz

DOI
https://doi.org/10.3224/gender.v14i2.07
Journal volume & issue
Vol. 14, no. 2-2022
pp. 88 – 102

Abstract

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Martha C. Nussbaums 1986 erschienenes Werk The Fragility of Goodness, das sie selbst retrospektiv als „a book about disaster“ bezeichnet, bildet den Ausgangspunkt der Überlegungen, wie in Zeiten einer globalen Seuche über unsere anthropologischen Grundlagen (auch in der feministischen Theorie) neu nachgedacht werden muss. Fragilität strukturiert nicht nur die Verletzlichkeit der Verletzlichen; das Leben aller ist stets durch den Verlust des Guten durch Krankheit, Tod oder schlechte Politik gefährdet. Eine Philosophie des guten Lebens als Vierklang von Vulnerabilität, Sozialität, Fragilität und Materialität ist radikal, da sie dem neuzeitlichen Machbarkeitswahn des Guten – sei es in gegenwärtigen Diskursen oder klassischen Zukunftsvisionen – widerspricht. Wie verwundbar das menschliche Leben ist, illustriert eindrucksvoll das „Wuhan-Tagebuch“ Fang Fangs, das die chinesische Schriftstellerin während des Lockdowns von Januar bis März 2020 (zunächst als Blog) geschrieben hat. Fang Fangs und Nussbaums Arbeiten helfen, den geschichtlichen Einschnitt – „Corona-Krise“ genannt – zu verstehen, der zugleich die letzte Chance für die unumgängliche Transformation der gesellschaftlichen Naturverhältnisse darstellt – genannt „Klimakrise“.

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